Ehrenstein-Täuschung

Optische Täuschungen & Sehphänomene von Michael Bach

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Was sehen wir hier?

Links einige Linien, umgeben von einem gelben Rahmen. In dem Linienfeld fallen viele weiße Kreisscheiben auf, die heller scheinen als der Hintergrund. Tatsächlich sind keine Kreisscheiben vorhanden, sie werden in unserem Gehirn als „Scheinkontur“ erzeugt, wohl weil verdeckende „Scheiben“ die beste Erklärung für die Linienenden sind. Statt acht Linienenden (wie hier) reichen auch vier.

Besonders interessant: Wenn die Scheinkontur durch eine tatsächliche Kreislinie ersetzt wird (unten rechts), dann verschwindet die Helligkeitstäuschung.

Wie funktioniert das?

Wir sehen ja immer mehr als wir tatsächlich sehen, weil das Gehirn auf der Basis unvollständiger Information das jeweils Wahrscheinlichste für die „innere Welt“ rekonstruiert. Hier ist es wahrscheinlich, dass durchgehende Linien von Scheiben verdeckt werden. Von der Heydt und Peterhans fanden 1989 tierexperimentell, dass es im sekundären visuellen Kortex (A18, V2) Zellen gibt, die auf Scheinkonturen reagieren „als wären sie wirklich da“. Warum die Scheiben etwas heller scheinen als der Hintergrund, ist nicht klar. Es tritt auch bei der wohl verwandten Neon-Täuschung auf.

Wofür ist das untere Bild?

Hier sind meistens nur 1–3 der notwendigen vier Linienenden vorhanden. Wem es gelingt, die beiden Teilbilder binokulär zu fusionieren (gekreuzt oder ungekreuzt, beides geht), der kann erkennen, dass die EhrensteinTäuschung auch auftritt, sobald die Fusion die 4 Linienenden vervollständigt. Mit einer solchen dichoptischen Darbietung kann man prüfen, ob die Täuschungsmechanismen in der Netzhaut oder im Kortex (nach der Fusion) angesiedelt sind. Hier zeigt sich, dass es erst im Gehirn passiert, was gut zu den Ergebnissen von von der Heydt und Peterhans (siehe unten) passt.

Quellen

Ehrenstein W (1925) Versuche über die Beziehungen zwischen Bewegungs- und Gestaltwahrnehmung. Z Psychol 96: 305–352

Heydt R von der, Peterhans E (1989) Mechanisms of contour perception in monkey visual cortex. I. Lines of pattern discontinuity. J Neurosci 9: 1731–1748 https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.09-05-01731.1989. [→PDF]

Soriano M, Spillmann L, Bach M (1996) The abutting grating illusion. Vision Res 36:109–116

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